Teil 2: Die Behandlung der Klasse II in unserer Praxis

Teil 2: Die Behandlung der Klasse II in unserer Praxis

Skelettale Klasse II

Die skelettale Klasse II Behandlung unterscheidet sich in unserer Praxis fulminant, abhängig von dem noch zu erwartenden Wachstum des Patienten. Somit werden bei uns dieselben intraoralen und skelettalen Befunde je nach Wachstum und Alter sehr unterschiedlich behandelt. Eine gute erste Richtschnur, wann man mit der skelettalen Klasse II beginnen sollte, bietet das KIG-System an.

So werden sehr junge Patientinnen und Patienten vor oder im pubertären Wachstumspeak bei uns bevorzugt mit Vorschubdoppelplatten (VDP) behandelt. Dieses vielfach bewährte Klasse II Behandlungsgerät ist bei bestehendem Wachstum und ordentlicher Tragezeit (12-14 Stunden täglich) sehr effektiv und ist unser  häufigstes herausnehmbares Gerät in der Praxis.

Die VDP hat sich bestens bewährt. Bei sehr gut mitarbeitenden Patienten erzielt man überraschend schnell Erfolge. Sie wird jedoch nur eingesetzt, solange viel Wachstum zu erwarten ist. Dies bedeutet, bei Mädchen beginnt die Behandlung mit spätestens 12 Jahren, bei Jungen spätestens mit 13 Jahren. Ein zusätzlicher Headgear kann als „Boost“ genutzt werden.

Je später der Patient in die Praxis kommt und je ausgeprägter die Klasse II ist, desto eher sollte zum Herbst-Scharnier gegriffen werden. So z. B. bei Mädchen mit 13-14 Jahren, bei Jungen mit 14-15 Jahren.  Hier ist fast immer das Wachstum so weit fortgeschritten, dass kein Erfolg mit der Behandlung einer VDP zu erwarten ist (ggf. Anfertigen einer Handröntgenaufnahme, bei Mädchen spätestens VDP-Start mit Einsetzen der Menarche).

Sollte man nach dem Wachstumspeak mit der VDP-Behandlung beginnen, besteht eine große Gefahr, dem Patienten einen Sonntagsbiss zu produzieren (zwei unterschiedliche Bisspositionen zwischen denen der Patient wechselt und so tagtäglich für Attrition sorgt). Wir bevorzugen bei einer „Noncompliance Klasse II Behandlung“ heute das Herbst-Scharnier, haben aber auch bissverlagernde Federn wie die SUS-Feder im Einsatz.

Diese „Non Compliance Federn“ bergen jedoch große Nachteile:

  1. Der Patient muss bereits nivelliert sein, um diese Chairside-Geräte (wie die SUSFeder) überhaupt einbauen zu können. Dafür verliert man die Zeit des Restwachstums durch die Nivellierung, die bei uns fast ein halbes Jahr dauert.
  2. Man erledigt das Problem mitten in der Behandlung. Da die Geräte recht unangenehm sind, besteht das Risiko, dass der Patient sie nicht toleriert und diese mitten in der Behandlung verweigert.

Dementsprechend bietet es sich an, das Problem von Anfang an mit einem Herbst- Scharnier zu beseitigen. Es ist jedoch nicht möglich, bei der gesetzlichen Krankenkasse im Nachgang ein Herbst-Scharnier zu beantragen. Bissverlagernde Federn sind keine Kassenleistung (siehe hierzu unseren Beitrag „Abrechnungsempfehlung“). Das Herbst-Scharnier ist nur einreichbar, wenn der Patient seinen Wachstumspeak überschritten hat und es muss als erstes Behandlungsgerät eingesetzt und abgerechnet werden. Insofern ist es auch nicht möglich, es zunächst mit einer Vorschubdoppelplatte zu versuchen und danach auf das Herbst-Scharnier zu wechseln. Die Kosten müsste der Patient selbst übernehmen. In unserer Praxis wird das Herbst-Scharnier nur in einer Zeitspanne etwa zwischen dem 14. und 17. Lebensjahr eingesetzt. Also, wenn es immer noch Restwachstum gibt, dieses aber nicht mehr ausreicht für eine VDP- Behandlung. Bei Erwachsenen setzen wir bei uns keine Herbst-Scharniere ein, was allerdings durchaus nicht unüblich ist.

Je später man beginnt, desto mehr haben auch die eingesetzten Geräte den Ansatz zur Lösung der Problematik durch eine dentale Korrektur. Der skelettale Effekt wird wachstumsbedingt immer geringer. Somit stellt sich bei den spät angefangenen Behandlungsfällen immer auch die Frage, ob nicht durch gezielte Extraktionen das Ziel zu erreichen ist (Camouflage-Behandlung).

Letztendlich wäre die letzte Möglichkeit der Behandlung die Dysgnathie-Operation, die in unserer Praxis wenn möglich verhindert werden soll. Auch wenn die OP-Techniken heute teilweise weit weniger nebenwirkungslastig sind, ist es doch ein sehr invasiver Eingriff.

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